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Drs. Bert Thissen (Stadtarchiv Kleve): Forschungsarbeit in Archiven II

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Da Drs. Thissen verhindert ist, wird der Beitrag durch Herrn Dr. Neuheuser-Christ (LVR-AFZ) verlesen.

Zum Einstieg geht der Vortragende zunächst auf die historische Entwicklung des Stadtarchivs Kleve seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts ein. Dabei betont der Referent, dass das Archiv 1955 erstmals mit einem promovierten Historiker hauptamtlich besetzt wurde. Mit seinem Amtsantritt war Drs. Bert Thissen der erste Leiter mit archivischer Fachausbildung. Dies entsprach der damaligen, allgemeinen Tendenz der zunehmenden Professionalisierung im rheinischen Archivwesen.

Dabei macht Thissen deutlich, dass die Bezeichnung „ArchivarIn“ nach wie vor keine geschützte Berufsbezeichnung war und ist, sondern das wesentliche Merkmal der Professionalisierung die fundierte, normierte Ausbildung sei. Dies diene auch der Abgrenzung zu anderen Berufen, wie Bibliothekaren oder Registraturen. Eine Unterscheidung zum deutlich jüngeren Berufsbild des „Records Managers“ in der Verwaltung ist dagegen weniger scharf zu ziehen.

Eine Arbeitsteilung nach verschiedenen Facetten des Berufsbilds „ArchivarIn“ ist allerdings vor allem ein Spezifikum von größeren Einrichtungen, wo aufgrund der personellen Kapazitäten eine Spezialisierung möglich ist. Hingegen müssen in kleineren Archiven wenige Personen ein breites Aufgabenspektrum abdecken. Trotz einer möglichen Arbeitsteilung ist der „Historikerarchivar“ alter Schule nicht nur in Kleve, sondern vielerorts verschwunden. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass eine archivarische Fachausbildung nicht vorlag und archivische Kernaufgaben vernachlässigt wurden. Im Gegensatz dazu stand oft die historische Auswertung von Unterlagen im Vordergrund.

Dennoch verneint Thissen die Frage, ob historische bzw. wissenschaftliche Kenntnisse – auch der historischen Grundwissenschaften – im archivischen Arbeitsalltag keine Rolle mehr spielten. Dies zeige sich z. B. bei der Verzeichnung, wenn Archivalien ohne entsprechende paläographische Kenntnisse gar nicht gelesen werden könnten. Historische Forschung spielt aber noch in anderer Hinsicht eine Rolle für die Archivarbeit, etwa als Lieferant von Informationen für Bürgerinnen und Bürger (etwa Rentennachweise und Erbenermittlungen) oder für die Verwaltung. Doch nicht nur in der Forschung, auch in der Darstellung der lokalen/regionalen Geschichte sollten Archive eine Rolle spielen.

Allerdings spielen die institutionellen Rahmenbedingungen eine Rolle. Ein Archiv im ländlichen Raum hat wahrscheinlich andere Kooperationsmöglichkeiten als ein Archiv im urbanen Umfeld und eventuell universitären Kontakten. Der Archivar muss dabei nicht zwangsläufig selbst historisch forschen oder ausschließlich hochprofessionelle oder streng wissenschaftliche Publikationen anstreben. Informationsvermittlung, Wissenschaftsmanagement oder populärwissenschaftliche Publikationen sind gleichfalls legitime Betätigungsfelder archivischen Arbeitens.

Ungeachtet der Lage eines einzelnen Archivs erregt die Tendenz, dass Studierende die historischen Grundwissenschaften immer weniger beherrschen und an Universitäten immer seltener unterrichtet werden, die Sorge des Referenten. Hinzu kommen Forschungsströmungen wie Big Data, die die Relevanz von Archiven für die Forschung zu schwächen scheinen, indem enorme Datenmengen computerbasiert analysiert werden, ohne Archive zu konsultieren. Archivare sollten vor diesen Fehlentwicklungen in der Geschichtswissenschaft warnen. Denn es bleibt fraglich, ob Summer Schools, wie sie derzeit organisiert werden, die nach wie vor notwendige Verzahnung zwischen Archiv und Geschichtswissenschaft leisten könnten.


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