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Notfallbeauftragte: Kommunikationsgeschick und Kompetenzgerangel – (k)ein Erfahrungsbericht

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von Gilles Regener, Nationalarchiv Luxemburg

Dr. Steinert stellt Gilles Regener aus dem Nationalarchiv in Luxemburg vor. Seit 2007 ist er Konservator der Abteilung für Wirtschaftsgeschichte im Luxemburger Nationalarchiv. Unter anderem ist er Notfallbeauftragter im Luxemburger Nationalarchiv.

Nach dem Motto “Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt!” hält Regener fest, dass sich für Notfälle nicht alles planen ließe. Jedoch sollten vor einem Katastrophenfall folgende Fragen geklärt werden:

  1. Was könnte wann, wie und wo passieren (Risikoanalyse)?
  2. Wie muss im Akutfall reagiert werden (Notfallplan)?
  3. Wie ist nach der Katastrophe mit dem Schaden umzugehen (Nachsorge)?

Notfallvorsorge mache sich erst im Schadensfalle bezahlt. Dennoch sei es eine Führungsaufgabe, die gleichzeitig eine essentielle bestandserhalterische Notwendigkeit und fachliche Daueraufgabe sei. Es koste viel Zeit, Zuständigkeiten zu definieren, Fachkompetenz aufzubauen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schulen. Auch an den Notfallbeauftragten würden eine Reihe von Anforderungen gestellt: Er benötige beispielsweise umfangreiche Kenntnisse zu den Beständen des Archivs oder zum Gebäude. Im Akutfall seien die Führungsqualitäten des Beauftragten gefragt: Entscheidungen müssten schnell und ohne Kompetenzgerangel getroffen werden. Hierzu ist es laut Regener hilfreich, wenn der Notfallbeauftrage auch im Arbeitsalltag eine Führungsaufgabe innehabe.

Gilles Regener betont, dass er die Funktion des Notfallbeauftragen zunächst ad hoc übernommen habe und er dadurch zum Ansprechpartner geworden sei. Dennoch sei er bereits im Rahmen mehrerer Notfälle zum Einsatz gekommen. Von zweien berichtet er im Folgenden:

Am 25. Juli 2019 sei es im Nationalarchiv Luxemburg zur Flutung des Magazins gekommen, die nur durch Zufall vor der Mittagspause entdeckt worden sei. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten aus der Mittagspause gerufen und der Einsatz koordiniert werden. Da die Ursache des ansteigenden Wassers zunächst nicht gefunden werden konnte, sei die Räumung der unteren Regalböden beschlossen und begonnen worden. Die Feuerwehr sei alarmiert worden. Diese habe jedoch während des Einsatzes zu einem weiteren Einsatz mit Personenschaden abrücken müssen, da Personenschutz vor dem Schutz von Gegenständen steht. Im Nationalarchiv selbst seien noch keine Erfahrungen mit solchen Notfällen gesammelt worden, sodass die Unterstützung des Nationalmuseums gesucht worden sei. Diese habe nicht nur in der Zurverfügungstellung von Fachkenntnissen bestanden, sondern auch in praktischer Hilfe, wie beispielsweise die Unterstützung durch einen Mitarbeiter mit LKW-Führerschein. Zudem seien weitere praktische Fragen zu klären gewesen, darunter: Wo kann die Gefriertrocknung durchgeführt werden? Wie kann die hohe Luftfeuchtigkeit in den Räumen gesenkt werden ohne die Stromversorgung des Gebäudes zu überlasten – sofern denn noch eine Stromversorgung besteht? Erschwerend sei hinzu gekommen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Nationalarchiv nach mehreren Stunden körperlichen Einsatzes am Ende gewesen seien. Der Einsatz habe am folgenden Tag fortgesetzt werden müssen. Dabei sei festgestellt worden, dass sich in einigen Beständen aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit bereits ein Schimmelbefall gebildet habe.

Am 15. Juli 2021 sei Gilles Regener zu einem Notfall im Literaturarchiv in Mersch gerufen worden. Dort war das Archiv vom Sommerhochwasser betroffen, was zu einer Überschwemmung des Gebäudes geführt habe. Hier habe Regener bereits auf seine Erfahrungen aus dem Notfall im Jahre 2019 zurückgreifen können. Bei seiner Ankunft in Mersch habe er die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Literaturarchivs in unkoordinierten Aktionen aufgefunden, bei denen diese auch den Eigenschutz vernachlässigt hätten.  Regener habe mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Nationalarchivs die Koordinierung übernehmen können. Unterstützung habe es vonseiten der örtlichen Feuerwehr sowie der Luxemburger Armee gegeben.

Zum Abschluss fasst Gilles Regener seine Erfahrungen zusammen. Wichtig sei im Katastrophenfall eine klare und unmissverständliche Kommunikation. Zudem müssten vorher geplante Arbeitsabläufe gegebenenfalls angepasst werden. Auf persönlicher Ebene müssten die Notfallbeauftragen im Katastrophenfall ihre Grenzen kennen und gegebenenfalls Aufgaben delegieren. Jeder Mensch reagiere in Notfallsituationen anders, was in Akutsituationen zu beachten sei.

Dr. Steinert dankt für den anschaulichen Vortrag und die Schlussfolgerungen. Viele Archivarinnen und Archivare, die im Rahmen der Flutkatastrophe des Jahres 2021 geholfen hätten, könnten sich darin wiederfinden.


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