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Channel: Frühere Archivtage – Rheinischer Archivtag
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Podiumsdiskussion: Verrechtlichung in Archiven – Konsequenzen für Aufgabenprofil, Berufspraxis, Aus- und Fortbildung

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Hr. Rehm sieht das Bedürfnis nach mehr Sicherheit als Anliegen vieler Teilnehmer, glaubt aber, dass viele die Tagung informierter, aber nicht unbedingt glücklicher verlassen. Er fasst zusammen, inwiefern die bisherigen Vorträge Probleme aufgeworfen haben, die die tägliche Arbeit komplexer machen. Ein stetiger Wandel der rechtlichen Rahmenbedingungen präge die Archivwelt. Was hieraus für die Praxis folgt, soll im Folgenden mit den TeilnehmerInnen diskutiert werden.

Fr. Behnke-Hahne knüpft an ihren Vortrag zur Einführung der eAkte an: sie sieht ein Bedürfnis in Zukunft (ausschließlich) digital zu kommunizieren, welches entsprechend stärker rechtlich abgesichert und eingehegt werden müsse. Eine stärkere Verrechtlichung der digitalen Aktenführung sei daher ein Muss, müsse aber mit Augenmaß erfolgen.

Hr. Gerke knüpft ebenfalls an seinen Vortrag an: er wünscht ein stärkeres Miteinander von Nutzern (v. a. Journalisten) und Verwaltung respektive Archiven. Zugleich weist er auf den Verlust der informationellen Selbstbestimmung im Zuge der Digitalisierung hin (Smartphone, Goolge & Co.): Journalismus gewinne gerade in Zeiten der Datenagglomeration in den Händen privater Unternehmen an Bedeutung.

Fr. Wiech stellt die These von einer zunehmenden Verrechtlichung in Frage. Verrechtlichung sei bereits in den 80er / 90er Jahren vollzogen worden; nun würden bestehende Gesetze „nur“ noch an neue Herausforderungen angepasst. Gestiegen sei die Sensibilität für Recht in archivischen Kreisen, was die Diskutantin als zusätzliche Professionalisierung ausdrücklich begrüßt. – Das LArchG NRW sei eines der besten, wodurch NRW für die Herausforderungen der Zukunft bestens gerüstet sei.

Hr. Metzdorf sieht in der Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die unter dem Stichwort Verrechtlichung zusammengefasst werden ein Merkmal der modernen Gesellschaft, die seit Anfang der Neuzeit bzw. spätestens im 20. Jh. mit einem Klagen über „Gesetzesflut“ und Juridifizierung einhergehe. De facto verdanken Archive seines Erachtens der Verrechtlichung ihre Daseinsberechtigung. Die Veränderung der letzten Jahrzehnte sei vor allem auf die Digitalisierung aller Lebensbereiche zurückzuführen; diese berge aber – Stichwort Wissensmanagement – mehr Chancen als Risiken. Zum ersten Mal stünden Archive im Zentrum aktueller Diskussionen. Sie müssten diese Rolle aktiv ausgestalten, indem sie auf ihre Bedeutung für den demokratischen Rechtsstaat hinweisen, die Rechtsetzung aktiv mitgestalten (Recht auf Information und Recht auf Erinnern) und sich stärker mit anderen Interessensgruppen vernetzen. Seines Erachtens gibt es viele Akteure, die ein Interesse daran haben, dass Archive in ihrem Kampf gegen „digitale Amnesie“ reüssieren. Ein Manko sei jedoch der geringe Austausch mit Datenschützern, die momentan in der Diskussion sehr präsent seien. – Insgesamt zeige sich aber, dass man momentan in ausgesprochen „archivischen“  Zeiten lebe.

Herr Rehm stellt die Frage, inwiefern Archivarinnen und Archivare in Zeiten einer diffuser werdenden Aktenführung überhaupt sicher sein könnten, glaubwürdige Informationen zu präsentieren. Verschärft sieht er dieses Problem bei der Einführung von DMS. Er fragt, ob eine solche möglicherweise zu einer verstärkten Führung von Handakten führen könnten, die niemals archiviert werden. Fr. Behnke-Hahne sieht diese Gefahr nicht; die eAkte sei ebenso umfangreich und vollständig wie ihr analoges Pendant. Fr.. Wiech ergänzt aus archivischer Perspektive, dass die „Qualität“ der übernommenen Akten auch in der analogen Welt problematisch sein können; die Einführung von DMS biete sogar zusätzliche Chancen eine professionelle Schriftgutverwaltung (erneut) zu implementieren. Hr. Metzdorf stimmt dieser Einschätzung ausdrücklich zu. Die analoge „rheinische Aktenführung“ im kommunalen Bereich sei häufig so schlecht, dass jede eAkte als Möglichkeit zur „Wiederentdeckung“ des Aktenplans einen Fortschritt darstellen würde.

Hr. Rehm stellt die Frage, ob ein „perfektes“ Archiv, welches alle gesetzlichen Vorschriften perfekt umsetze, die Notwendigkeit von Whistle-Blowern und investigativen Journalisten obsolet machen würde. Hr. Gerke sieht dieses Risiko nicht, ein gut arbeitendes Archiv erhöhe die Menge verfügbarer Informationen. Seines Erachtens erhöhten sich daher sogar die Möglichkeiten investigativ arbeitender Journalisten.

Auf die Fragen nach den wichtigen Kooperationspartnern für Archive hält Fr. Wiech es für notwendig, themenbezogen zu differenzieren. In jeder konkreten Situation müsse man ohne Berührungsängste die richtigen Ansprechpartner kontaktieren. Festzuhalten sei aber, dass Archive in den meisten Fällen auf sich allein gestellt wenig bewirken könnten. Hr. Metzdorf bestätigt diese Einschätzung und weist auf die überragende Bedeutung der Nutzer für die Lobbyarbeit von Archiven hing. Zudem sei es dringend notwendig, auf Datenschützer zuzugehen um Konfliktpotential – welches v.a. auf Unwissen beruhe – auszuräumen. Hr. Rehm ergänzt dies aus einer Einschätzung des Verhältnisses zwischen Archiven und Datenschützern aus Sicht der KLA und öffnet die Runde für Fragen aus dem Plenum:

Aus Sicht der Stadtarchive Aachen und Neuß wird ergänzend darauf hingewiesen, dass eine stärkere Sensibilisierung der Juristen in Kommunalverwaltungen für archivische Belange notwendig sei; hier bestünde noch Nachholbedarf.

Fr. Marner fragt nach der Bedeutung des „Rechts auf Vergessen“ für die tägliche Arbeit von Journalisten, Archivaren und sonstigen Verwaltungsmitarbeitern. Aus der Sicht des Journalisten ist dieses Recht noch nicht eingefordert worden; eine Ausnahme seien falsche Tatsachenbehauptungen. Ansonsten sieht er die Notwendigkeit zwischen kommerziellen Global-Playern und den rechtlich sehr viel stärker gebundenen öffentlich-rechtlichen Akteuren zu differenzieren. Im Verwaltungsbereich dürfe es deshalb kein Recht auf Vergessen geben. Hr. Metzdorf kritisiert das nicht ganz stringente Verhalten vieler Journalisten im Umgang mit (illegal) gesammelten Daten: So würde die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch die Global Player zwar angeprangert, im Zweifelsfall eben solche Daten aber genutzt. Hr. Rehm sieht durchaus eine Notwendigkeit, ein „Recht auf Vergessen“ im archivischen Kontext zu verankern. Dabei gehe es jedoch ausschließlich um Einschränkungen der Verfügbarkeit von personenbezogenen Erschließungsinformationen im Netz.

Hr. Metzdorf spricht das Problemfeld der Informationsweitergabe (Informationsweitergabegesetz) an, das bislang auf der Tagung noch nicht thematisiert worden ist. Fr. Wiech sieht dieses Thema eher entspannt, weil Archive bereits seit Langem die nun unter Stichwörtern wie „OpenData“ propagierten Neuerungen umsetzen und umgesetzt haben. Auswirkungen auf Nutzungs- und Entgeltordnungen seien nicht auszuschließen, ansonsten bewegten sich die Archive aber auf der Höhe der neuen PSI-Richtlinie.

Hr. Rehm weist abschließend auf die Notwendigkeit einer hohen Sensibilität für den Umgang mit Persönlichkeitsschutz hin. Dabei stellt er die Frage in den Raum, ob Archivare den Nutzern hier einen Vertrauensvorschuss einräumen können bzw. sollten. Wie seine Mitdiskutanten sieht er die Zeit der Digitalisierung als eine Zeit vieler neuer Chancen – eine „Zeit der Archive“ (Metzdorf).


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